Meldungen aus dem Bezirksverband Braunschweig
Meldungen aus dem Bezirksverband Braunschweig

Fahrt von Auszubildenden des Landkreises Northeim nach Niederbronn-les-Bains

Tagebuch einer Reise

Die Auszubildenden bei der Ankunft in Niederbronn-les-Bains


Von Montag, den 25. September bis zum 29. September 2023 waren 23 Auszubildende aus dem Landkreis Northeim unterwegs auf einer Reise nach Frankreich. Nachstehend finden Sie auch ein „Tagebuch“ der ereignisreichen Tage und O-Töne der Teilnehmenden zu ihren Eindrücken.

Historisch-politische Bildung in Frankreich

Zum zweiten Mal fuhren Auszubildende des Landkreises Northeim in die Jugendbegegnungsstätte des Volksbunds nach Niederbronn-les-Bains. Landrätin Astrid Klinkert-Kittel hatte bereits 2019 eine solche Fahrt angeregt. Der Bezirksverband Braunschweig griff die Initiative damals gerne auf. Nun, im Jahr 2023, haben sich auch die Städte Bad Gandersheim, Dassel, Hardegsen und die Gemeinde Kalefeld der Initiative angeschlossen und Auszubildende für die Fahrt freigestellt. Die Stiftung Gedenken und Frieden und das Niedersächsische Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung haben die Fahrt gefördert.

Neben der Ausbildungsleiterin Henrike Weidner und dem Bildungsreferenten Dr. Rainer Bendick nahmen 23 Nachwuchskräfte an der Fahrt teil. Sie besuchten im Laufe ihres Aufenthalts zunächst die Kriegsgräberstätte Niederbronn-les-Bains verbunden mit einer Einführung in die Gedenkarbeit. Während der nächsten Tage fuhren sie nach Verdun, in die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof und schließlich nach Straßburg in das Europaparlament.

Neben diesem historisch-politischen Programm bediente die Fahrt auch andere Aspekte: in Straßburg war genügend Zeit, um die Hauptstadt des Elsass zu erkunden, kulinarische Genüsse wurden während eines Flammkuchenabends bedient und so leistete die Fahrt auch einen Beitrag zur Teambildung, zum besseren gegenseitigen Kennenlernen der Nachwuchskräfte von Landkreis und den kreisangehörigen Städten und Gemeinden.

Tagung und Informationen zur Fahrt

Am 11. Oktober um 14:00 Uhr wird die Fahrt auf einer Tagung in Nörten-Hardenberg vorgestellt. Interessierte Landkreise, Kommunen und Unternehmen sind eingeladen, sich über die verschiedenen Aspekte der Fahrt aus erster Hand zu informieren, denn es ist geplant, eine vergleichbare Fahrt in zwei Jahren erneut durchzuführen. Das Programm und Anmeldeformular finden Sie hier.

Das Reisetagebuch

Tag 1 – Montag 25. September

Die Fahrt startete um 6:30 Uhr in Northeim. Sieben Stunden später traf der Bus in Niederbronn-les-Bains ein, wo ein Mittagessen auf die Auszubildenden wartete. Nach dem Beziehen der Zimmer begann das Programm.

Die Leiterin der Jugendbegegnungsstätte Joël Winter führte in die Gedenkarbeit ein. Besonders betonte sie die jeweils generationenspezifische Erinnerung an Krieg und Gewalt. Zur Veranschaulichung zeigte sie eine Baumscheibe, die einen schwarzen Fleck in sich trug. Dieser schwarze Fleck war eine Beschädigung, die der Baum 1944 bei den Kampfhandlungen am Ende des Zweiten Weltkrieges erfuhr. Danach wuchs er weiter und schloss die Beschädigung im Stamm ein – so wie Menschen die Erinnerung an Krieg und Gewalt in sich einschließen und weiterleben und dennoch von diesen Erinnerungen gekennzeichnet bleiben.

Im Anschluss fand eine Führung über die Kriegsgräberstätte statt auf der mehr als 15.000 Tote ruhen. Verschiedene Schicksale wurden vorgestellt: fanatisierte junge Soldaten, die nichts anderes erlebt hatten als die Sozialisation in der NS-Diktatur; Berufssoldaten, die glaubten ihre Pflicht zu tun; Wehrpflichtige, die sich dem Militärdienst nicht entziehen konnten.

Was deren Tod heute bedeutet, wurde den Auszubildenden aus Northeim am Grab von August Waigel klar, der im Alter von 18 Jahren im September 1944 fiel. Sein jüngerer Bruder Theo überlebte den Krieg. Als Bundesfinanzminister führte er den Euro ein. Die Generation von Theo Waigel war geprägt von der Trauer um Angehörige, die der Krieg verschlungen hatte. Diese Generation bemühte sich in der alten Bundesrepublik um die Annäherung der europäischen Völker. Der Euro ist in dieser Perspektive nicht nur eine finanzpolitische Maßnahme, sondern ein gemeinsamer Bezugspunkt der Europäer, deren Vorfahren sich erbarmungslos bekriegt hatten. Darum legen die Friedhofsbesucher Euromünzen auf August Waigels Grab nieder. An diesem Ort, einem Soldatenfriedhof, wird die Europäische Union als Friedensprojekt greifbar.

Tag 2 – Dienstag 26. September

In Frankreich gibt es keine Stadt, in der es nicht eine „rue de Verdun“ oder eine „place de Verdun“ gibt. In der Umgebung von Verdun starben 1916 etwa 300.000 deutsche und französische Soldaten. Weil auf wenigen Quadratkilometern zehn Monate lag eine Schlacht tobte, in der sich fast nur Deutsche und Franzosen gegenüberstanden, ist Verdun der symbolische Ort für die kriegerische Vergangenheit unserer beiden Völker aber auch für die Überwindung ihrer Feindschaft. Darum führte der zweite Tag der Fahrt die Auszubildenden aus Northeim an die Stadt an die Maas.

Der Besuch begann im Fort Douaumont. Die Festung war zu Beginn der Offensive von den Deutschen erobert worden, im September eroberten die Franzosen sie zurück. Die klugen und einfühlsamen Erklärungen unseres Führers, Pierre Lenhard, vermittelten einen Eindruck vom Leben und Sterben im Fort. Die klaustrophobische Atmosphäre im Fort und die Feuchtigkeit ließen die Lebensbedingungen im Fort erahnen. Tief beeindruckten die Erklärungen zu dem Explosionsunglück, das sich im Mai 1916 im Fort zutrug und mehreren hundert deutschen Soldaten das Leben kostete. Ihre Leichname konnten aufgrund der Kampfhandlungen nicht draußen bestattet werden. Sie wurde darum in einer Kasematte gesammelt, die man zumauerte. Darum ist das Fort Douaumont auch ein Friedhof.

Als nächste Station wurde ein „village matyre“ angesteuert. Darunter versteht man die Dörfer, in der Umgebung von Verdun, die so vollständig zerstört wurden und deren Boden so sehr vergiftet war mit Blindgängern von Spreng- und Gasgranaten, dass sie nicht weder aufgebaut wurden – außer den Kapellen, die heute als Gedenkorte dienen. Das Dorf Fleury-devant-Douaumont ist eines von acht „villages matyres“. Das von Granattrichtern zerpflügte Terrain zeugt auch heute, mehr als 100 Jahre später, von der Zerstörung, die der Krieg über die Menschen und die Landschaft brachte. Nichts ist mehr von dem Dorf zu erkennen. Nur in die Erde eingelassene Steine zeigen den Verlauf der Hauptstraße des Dorfes. Andere Steine markieren den Standort der Häuser. An der Kapelle befindet sich „Notre Dame de l’Europe“, eine Mariendarstellung, die in eine Europaflagge gehüllt ist. Sie symbolisiert die Versöhnung der Völker im Zeichen Europas und den Schutz der Europäischen Union vor den Schrecknissen des Krieges.

Die Schrecknisse des Krieges werden im Memorial de Verdun ausgestellt. Dieses Museum begrenzt sich nicht auf Operationsgeschichte und die Entscheidungen der Feldherren, vielmehr stellt es die Schlacht in alle ihren Aspekten da. Im Zentrum steht der Kampf, das Leiden und das Sterben der deutschen und französischen Soldaten. Die Ausstellung fesselte die Auszubildenden so sehr, dass einige fast die Abfahrt des Busses zum letzten Programmpunkt verpasst hätte: das Gebeinhaus von Douaumont. Hier wurden – und werden immer noch – die Knochen der Toten zusammengetragen, deren Identität nicht mehr geklärt werden konnte. Denn immer noch werden sterbliche Überreste von Soldaten gefunden. Vor dem Gebeinhaus befindet sich eine französische Kriegsgräberstätte, auf der mehr als 15.000 Tote ruhen.

Pierre Lenhard erinnerte an ein Ereignis, das 1984 vor dem Gebeinhaus stattfand: Der französische Staatspräsident Francois Mitterrand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl reichten sich dort die Hände und veröffentlichten eine Erklärung, in der sie festhielten: „Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden.“ Darum ist Verdun auch ein Ort der deutsch-französischen Versöhnung. Pierre Lenhard verabschiedete die Auszubildenden mit einem Zitat des ehemaligen Präsidenten der europäischen Kommission Jean-Claude Juncker: „Wer an Europa zweifelt, wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!“ – und Verdun, ergänzte Pierre Lenhard.

Tag 3 – Mittwoch 27. September

Geschichte wird aus Quellen rekonstruiert. Die Jugendbegegnungsstätte Niederbronn bietet ein besonderes Modul an, das den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gewidmet ist: die Teilnehmenden bearbeiten letzte Briefe, die Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung kurz vor ihrer Hinrichtung schrieben; sie setzten sich mit Lebensläufen von deutschen Soldaten auseinander, die auf der Kriegsgräberstätte in Niederbronn beerdigt sind und schließlich studieren sie Besucherbücher, die auf Kriegsgräberstätten des Volksbunds auslagen, in denen Besucher ihre Eindrücke festhielten. Hier erfuhren die Auszubildenden die Komplexität und Pluralität des Begriffs „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ und zugleich lernten sie in den Besucherbüchern die unterschiedlichen Reaktionen kennen, die Grabstätten deutscher Soldaten auslösen.

Diese Quellenarbeit diente auch der Vorbereitung für den Nachmittag. Im Elsass befindet sich das einzige deutsche Konzentrationslager, das in Frankreich errichtet wurde, das KZ Natzweiler-Struthof. Das Gelände des ehemaligen KZ ist heute eine Gedenkstätte, die die Auszubildenden am Nachmittag besuchten. Sie erfuhren Einzelheiten über die Errichtung des Lagers 1941, über das Leben, Leiden und Sterben der Häftlinge. Besonders beklemmend war die Atmosphäre im Krematorium, in dem viele der 22.000 Tote, die das KZ Natzweiler-Struthof forderte, verbrannt wurden.

Am Ende fragte Michèle Veillard, die uns über das Gelände geführt hatte, warum Orte wie dieser erhalten bleiben und als Gedenkstätten gepflegt werden. Natürlich sagten die Auszubilden sofort, dass die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten wachgehalten werden müsse, damit so etwas nie wieder geschehen könne. Michèle Veillard ergänzte einen weiteren Aspekt: für sie sei ein Ort wie das ehemalige KZ Natzweiler-Struthof ein ständiges Plädoyer für die europäische Einigung, für die Europäische Union, die Frieden und Menschenrechte garantiere.

Ein anstrengender Tag, voller schwieriger Themen, der einen entspannten Ausklang fand. Bei bestem Wetter wurde im Innenhof der Jugendbegegnungsstätte elsässischer Flammkuchen serviert.

Tag 4 – Donnerstag 28. September

Straßburg ist nicht nur eine regionale Metropole, die Hauptstadt des Elsass. Straßburg spiegelt wie keine andere Stadt die deutsche und französische Geschichte in ihren Konflikten und ihrer Verwobenheit. Die Stadt gehörte zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, sie wurde 1681 französisch, 1871 deutsch, 1918 wieder französisch, 1940 erneut deutsch und mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder französisch. Bewusst siedelte man nach 1945 europäische Institutionen in Straßburg an wie zum Beispiel den Europarat, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht und auch das Europäische Parlament. Dessen Abgeordnete werden von allen Bürgern der Staaten der Europäischen Union direkt gewählt. Sie entscheiden über die Gesetzgebung auf europäischer Ebene.

Die Nachwuchskräfte aus Northeim besuchten das Parlament. Während einer Führung erhielten sie Informationen über die Arbeitsweise und die Aufgaben des Parlaments. In den Plenarsaal konnte leider nur ein kurzer Blick geworfen werden, denn dort tagte ein europäischer Ärztekongress.

Mit dem Besuch des Europaparlaments schloss sich ein Kreis. Auf der Kriegsgräberstätte in Niederbronn-les-Bains, auf dem Schlachtfeld von Verdun und in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Natzweiler-Struthof sahen die Nachwuchskräfte aus Northeim die Folgen von Nationalismus, von Rassismus und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Sie wurden direkt mit dem Europa der Nationalismen und Kriege der Vergangenheit konfrontiert. Im europäischen Parlament begegneten sie dem Europa der Gegenwart und Zukunft, ihrem Europa, in dem Konflikte friedlich durch immer neue Kompromisse gelöst werden.

Den Nachmittag verbrachten die Auszubildenden aus Northeim bei sonnigem Spätsommerwetter in Straßburg. Dazu gehörte auch eine Bootsfahrt auf der Ill, der Fluss, der Straßburg umfließt.

Tag 5 – Freitag 29. September

Der Tag stand im Zeichen der Rückreise. Abschließend lassen wir hier einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Wort kommen:

„Sehr informative und vielfältige Fahrt! Man konnte viel über die Geschichte vor allem des Ersten und Zweiten Weltkriegs lernen.“

„Die Fahrt hat mir vielfältige Eindrücke zum Thema Erster und Zweiter Weltkrieg gegeben.“

„Es war eine tolle Möglichkeit die Geschichte vor Ort besser zu verstehen. Es hat zum Nachdenken angeregt.“

„Die Reise war eine schöne Erfahrung, die Einblicke in die deutsch-französische Geschichte weit über den Schulunterricht hinaus bietet.“

„Die Fahrt war sehr ereignisreich und man hat viele interessante und auch wichtige Informationen sammeln können.“

„Durch die Fahrt mit dem Volksbund Niedersachsen habe ich viele neue Informationen über den Ersten und Zweiten Weltkrieg bekommen sowie bereits existierende Informationen darüber auffrischen können und einen realen und greifbaren Bezug dazu bekommen, um dem allem eine Realitätsnähe zu verleihen.“

„Die Fahrt war des Öfteren sehr interessant und konnte vieles mit einbinden. Zusammen mit den Azubis war die Fahrt umso besser.“

„Die Fahrt hat dazu beigetragen, dass das Geschehene nicht in Vergessenheit gerät. Man hat in entspannter Atmosphäre einiges über Persönlichkeiten und ihre Schicksale erfahren. Die unterschiedlichen Aktivitäten führten zu einer abwechslungsreichen Woche.“

„Verdun ist überwältigend – die deutsch-französische Geschichte hat viel zu erzählen.“

Dr. Rainer Bendick Bildungsreferent

Bezirksverband Braunschweig