Der Friedhof der St. Martini Gemeinde in St. Andreasberg im Oberharz spiegelt die Geschichte von Krieg und Gewalt des 20. Jahrhunderts: Reservelazarette prägten im Ersten und Zweiten Weltkrieg die Bergstadt. Im Zweiten Weltkrieg wurden zahlreiche Rüstungsbetriebe angesiedelt, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nach St. Andreasberg verschleppt, am Ende des Krieges tobten heftige Kämpfe in der Stadt. Die Toten ruhen auf dem Friedhof der St. Martini Gemeinde.
Vor drei Jahren wurde eine Geschichts- und Erinnerungstafel am Gräberfeld der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aufgestellt. Nun folgten drei weitere Tafeln, die wieder in Kooperation mit der St. Martini Gemeinde erarbeitet wurden.
Eine Überblickstafel erklärt die Geschichte des Nationalsozialismus in St. Andreasberg und die Lage der Kriegsgräber, eine Tafel ist dem deutschen Gräberfeld gewidmet und eine Pulttafel beschreibt das Schicksal von First Lieutenant John C. Saunders, ein US-amerikanischer Bomberpilot, der Anfang März 1945 in aller Öffentlichkeit in St. Andreasberg ermordet wurde.
Bürgermeister Langer betonte den Wert der Tafeln: Sie sind Ankerpunkte der lokalen Erinnerungskultur, sie dokumentieren die Ereignisse im lokalen Rahnem und stellen stets die die Verbindung zu der allgemeinen historischen Entwicklung her. Sie geben den Einheimischen und den zahlreichen Touristen einen Anstoß, sich mit der Geschichte vor Ort auseinanderzusetzen. – Und diese Geschichte hat es in sich. Frederik Kunze, unter dessen Federführung die Tafeln entstanden, stellte den Aufstieg der Nationalsozialisten in St. Andreasberg dar: „Die Nazis konnten früh Fuß fassen, nicht irgendwo weit weg, sondern auch hier. Ihre Verbrechen sind nicht nur irgendwo weit weg, sondern auch hier geschehen. Und ebenso hätten sie auch überall im Kleinen verhindert werden können.“ Mit Blick auf die Geschichte von Krieg und Gewalt formulierte Kunze die Botschaft, die von den Tafeln ausgeht: „Wenn wir uns bewusst sind, was auch in kleinen, unbedeutenden Orten geschehen konnte, dann wissen wir auch, dass wir hier, vor Ort, jeden Tag etwas dafür tun können, dass wir weiterhin in Frieden und Freiheit leben können. Das ist der Sinn und Zweck von Erinnerungskultur.“ (Die vollständige Rede von Frederik Kunze finden Sie hier zum Download.)
Pastorin Mirja Rohr schloss die Veranstaltung. Sie brachte den Sinn der Geschichts- und Erinnerungstafeln in ihrer Ansprache auf den Punkt: „Es fällt immer wieder schwer, sich die Geschichten hinter den Gräbern genau anzuschauen und an das Leid damals zu erinnern. Und trotzdem: gut, dass wir es tun und uns dadurch zum Frieden mahnen lassen.“ Sie schloss mit einem Gebet, dessen Aussage sich sicherlich alle Menschen guten Willens – Gläubige und Nicht-Gläubige – zu eigen machen können:
„Gott, du Schöpfer alles Lebens, wir stehen vor dir voll schwerer Gedanken an die, von denen wir auf diesen Tafeln lesen können.
Menschen, die ihr Leben lassen mussten für ideologische Verirrungen und rassistisches Denken.
Menschen, die verblendet waren vor Hass und keine andere Wahrheit kannten als die der Nationalsozialisten.
Opfer von Krankheiten und Kriegsverwundungen – hier gestrandet – behandelt, aber nicht geheilt.
Opfer von Selbstjustiz und schweren Kämpfen um die Heimat.
Ihr Schicksal droht uns sprachlos zu machen. Aber wir wissen: genau das dürfen wir nicht sein. Hilf uns, dass diese Menschen und ihre Schicksale uns Mahnung sind für heute.
Lass uns lernen, das Leben in all seinen Formen zu schützen. Hilf uns, dass wir aufstehen und unsere Stimmen erheben, wenn rassistische Gedanken auch heute um sich greifen. […]
Gott, du gibst uns die Kraft uns immer wieder mit unserer Geschichte – auch mit schmerzhafter Geschichte – auseinanderzusetzen.
Hilf uns, dass wir unsere Entscheidungen daran ausrichten. Dass wir allem, was uns fremd ist, nicht mit Angst, sondern mit Neugier begegnen.“
(Die gesamte Ansprache von Pastorin Rohr finden Sie hier zum Donload.)

Bezirksverband Braunschweig